D e r   S t a m m b a u m

Herr Bonsels ging, vor Jahren schon, mit fünfundsechzig in Pension.
Aus Langeweile sah er drum sich bald nach einem Hobby um.
Hierbei geriet er irgendwie an seine Ahnengalerie.
Das war wirklich Interessantes, was völlig Neues, Unbekanntes.
Und er beschloß sogleich, deswegen sich einen Stammbaum anzulegen.

Er stöberte in Stadtarchiven, in Chroniken, in alten Briefen,
nahm sich bei manchem Dorfpastor die dicken Kirchenbücher vor,
und drang bei der Gelegenheit weit, weit in die Vergangenheit.

Er fand: drei Ritter, einen Wirt, vier Bauern, einen Schweinehirt,
je einen Küster, Müller, Bäcker, drei Schmiede, einen Schieferdecker,
dann einen fürstlichen Lakai, der König von Korsika war auch dabei.

Ein Vorfahr war sogar Minister, zwei andre lebten als Magister.
Dann gab es ein paar Grenadiere, zwei Musikanten, vier Advokaten, drei Metzger,
und, im blinden Eifer, fand er noch einen Scherenschleifer.

Es war ein Baum mit vielen Zweigen, von Nebentrieben ganz zu schweigen.
Herr Bonsels brauchte viel Papier, viel Tinte und Geduld dafür.
Er kam bis ca. dreizehnhundertdreiundsiebzig,
doch dann schien es vorbei zu sein, denn hier versiegten alle Quellen,
es war kein Ahn mehr festzustellen.

Drauf stieg Her Bonsels in den Zug,
der ihn ins ferne Hamburg trug zu Dr. Dr. Dusterwald,
der als ein Fachexperte galt.

Er bat ihn in bewegten Worten, des Stammbaum Wurzeln aus zu orten,
beziehungsweise jenen Mann, mit dem die Reihe einst begann.

Der Doktor lächelte jovial: „Verehrter,
nun, dann gehn Sie mal in unsern weltbekannten Zoo,
gleich vornean, Abteilung zwo!“

Herr Bonsels fand dies sonderbar!
Doch weil er schon in Hamburg war,
begab er sich am gleichen Tag zu Hagenbeck.
Ihn traf der Schlag!

Da saß in seiner Käfig-Villa ein Affe, nämlich ein Gorilla.
Er blickte traurig und verwundert in unser einundzwanzigstes Jahrhundert,
fing Läuse und verschlang Bananen.

Herr Bonsels forschte nie mehr Ahnen!

(Verfasser unbekannt. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.)